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März 2001
Stephan George
für satt.org
Hannibal
USA 2000

nach einer Romanvorlage von Thomas Harris


Break the silence: HANNIBAL

Regie:
Ridley Scott

Darsteller:
Anthony Hopkins,
Julianne Moore,
Gary Oldman
u.a.



HANNIBAL - DEMONTAGE EINES MYTHOS

"Hannibal" ist bekanntlich die Fortsetzung des genialen Meisterwerkes und Kassenschlagers "Das Schweigen der Lämmer" ("The Silence of the Lambs") von Jonathan Demme ("Philadelphia") aus dem Jahre 1991, basierend auf dem letzten (?) Band der "Hannibal Lector" Triologie (Das erste ist "Roter Drache", hierzu existiert ebenfalls eine eher unbekannte, aber sehenswerte Verfilmung aus den 80ern, allerdings nicht mit Anthony Hopkins).

Kurz zur Story: 10 Jahre nach Hannibal Lectors Flucht. Clarice Starling ist in Verruf geraten, ein Einsatz ist zu einem Massaker geworden, dafür trägt sie zwar nicht die Schuld, aber als Einsatzleiterin die Verantwortung. Hannibal Lector ist immer noch frei und weilt in Florenz. Das einzige überlebende Opfer, Mason Verger, will sich an Hannibal rächen und macht ihn ausfindig, ebenso ein Polizist in Florenz. Am Ende sind beide tot, Starling suspendiert weil sie in den Verdacht geraten ist, mit Hannibal zu sympathisieren, und am Ende ist sie in seiner Gewalt. Tja, Hannibal entkommt natürlich und der Film ist aus.

Der Film ist eine einzige Enttäuschung und stellenweise ziemlich lächerlich, besonders am Ende. Der Mythos Lector wird schlicht und einfach demontiert, was Hopkins da spielt, ist ein ganz netter Psychopath, aber nicht Lector. Der irre, gefährliche Blick fehlt, und stellenweise sieht er aus wie in "Was vom Tage übrig blieb" ("The Remains of the Day"), wo er einen Butler spielt. Natürlich erwartet niemand eine Kopie von "Das Schweigen der Lämmer", das soll der Film auch nicht sein, aber die Grundzüge von Hannibal müssen doch erhalten bleiben. Im "Schweigen" ist Lector stets beherrscht, sein Blick ist lauernd, gefährlich, psychotisch, er steht eigentlich immer nur still herum (oder sitzt), das einzige Mal, wo er schnelle Bewegungen macht (oder sich überhaupt ein wenig bewegt) ist, als er die Polizisten tötet. Hier läuft er lustig durch die Gegend und macht zynische Witze (Ich hatte in den USA ein gutes Mahl, haha). Einzig in einer kurzen Rückblende sieht man den "alten Lector" kurz. Auch das filmische Mittel, was einen Teil der Faszination des "Schweigens" ausmachte, nämlich daß Lector immer in die Kamera schaut (was eigentlich immer vermieden wird), wurde nicht wieder aufgegriffen.

Apropos Töten. Im Vorfeld wurde viel diskutiert über die Grausamkeit des Filmes (FSK 18, Zensur in einigen Ländern, Leute verließen auf der Berlinale die Vorführung, weil ihnen schlecht war), leider sind die "berüchtigten" letzten 10 Minuten (Hannibal ißt das Hirn seines noch lebenden Opfers) einfach nur lächerlich. Das Hirn sieht aus wie Plastik mit Farbe (was es vermutlich ja auch ist); als Lector den oberen Schädel des Opfers abtrennte, lachte das ganze Kino, weil es einfach nur billig aussah.

Waren die ganzen (schlecht gemachten) Gewaltdarstellungen nötig? Eindeutig nein, im "Schweigen" sah man nie die Tat an sich, lediglich das Resultat (stets nur angedeutet, z.B. einen Arm über dem enstellten Kopf); oder wenn Lector ein Opfer ins Gesicht biß, war stets der Hinterkopf des Opfers "im Weg". Die ganze Gewalt und Grausamkeit spielte sich in den Köpfen der Zuschauer ab, was ja auch wunderbar funktioniert hat - nichts auf der Leinwand kann so grausam sein wie die Phantasie der Zuschauer.

Zu Clarice Starling. Jodie Foster hat bekanntermaßen die Rolle abgelehnt, aus welchen Gründen auch immer (Terminnot, kein Interesse, …). Nachdem Gillian Anderson ("The X-Files", "Leben und Lieben in L.A.") die Rolle ablehnte, wurde diese von Julianne Moore ("Magnolia", "Short Cuts") übernommen. Tja, ein Vergleich ist schwierig. Ist Moore gut? Ich kann es nicht sagen, ich hatte bei ihrem Anblick immmer Jodie Foster im Kopf und habe überlegt, wie sie wohl jetzt gespielt hätte, und fand sie logischerweise immer besser - gegen eine solche Vorgängerin (und so einen Mythos) anzuspielen, ist schier unmöglich, da kann man noch so gut sein.

Neben Hopkins, der sich wie gesagt selber demontiert, ist der geniale Gary Oldmann ("Bram Stoker's Dracula", "Leon der Profi", "Air Force One") als Mason Verger, Lectors Wiedersacher zu sehen. "Furchtbar" entstellt - in einer Maske, bei deren Anblick man leider nur lachen kann, lispelt er sich durch den Film, tja, eigentlich überflüssig, in der Maske wirkt er überhaupt nicht und kann sein Talent nicht anwenden. Seltsamerweise taucht er auch nicht im Vorspann auf, lediglich in den Credits (dem Abspann). Absicht, quasi als Überraschung (Wie Kevin Spacey in "Se7en", der auch erst im Abspann - dort dann als erstes - auftauchte)? Wenn ja, dann hat es nicht funktioniert, denn man erkennt ihn nicht, und in der kurze Rückblende ist er nur äußerst kurz zu sehen, wenn man es nicht weiß, erkennt man ihn nicht. Ich tippe eher auf einen Fehler (ähnlich wie Whoppie Goldberg in "Star Trek - Generations", wo man sie einfach vergessen hatte).
Dann ist noch Ray Liotta ("Good Fellas") dabei, als Polizist - naja, ganz nett.

Regisseur Ridley Scott ("Alien", "Blade Runner", "1492 - Conquest of Paradise", "Thelma & Louise", "G.I. Jane", "Gladiator") ist bekannt für seine Bildgewalt, dementsprechend ist der Film vom Optischen eine Augenweide, besonders Szenen wie das Vorspiel zur Ermordung des Polizisten, spielend vor einem Diaprojektor, Hannibals riesengroßer Schatten nähert sich dem Opfer; oder die Bilder von Florenz, die sich dem Palast näherenden Polizeiwagen am Ende … einfach schön.
Aber leider hat Scott auch die Faszination zerstört. Die Darstellung Hannibals widerspricht dem "Schweigen", Schattenspiele (Licht und Schatten, hell und dunkel, gut und böse, eines der am meisten eingesetzten filmischen Mittel im "Schweigen") sind äußerst rar, alles wirkt wie ein 0815 Thriller - was man sich bei der Werbekampagne (Dritterfolgreichster Filmstart aller Zeiten) nicht leisten kann. Besonders nach dem genialen Psychothriller "Alien" enttäuscht seine Regie hier, wie hätte man mit den Ängsten spielen können! Der ganze Film ist blaugefärbt, aber eine Symbolik der Farbe (wie z.B. das Kontrastspiel Blau/Rot in "Eyes Wide Shut") fehlt.
Besonders die deutsche Synchronisation ist grauenhaft. Lector hat einen neuen Synchronisten - den von Jack Nicholson. Wie unpassend das ist, merkt man, wenn Starling sich die alten Aufzeichnungen ihrer Gespräche mit Lector (aus dem "Schweigen" übernommen) anhört - verglichen mit dem alten Synchronisten wirkt Lector hohl und leer. Vor allem da Hopkins im Original (man schaue sich nur den englischen Trailer an) eine tolle Stimme hat, wirkt der Synchronist total farblos. Damit hat man viel zerstört. Auch Oldmanns Gelispel wirkt nur lächerlich.

Warum hat man Lector erst so spät entdeckt? Er läuft die ganze Zeit (10 Jahre!) ohne irgendeine Maske (wie am Ende im "Schweigen") herum, da er so bekannt ist, müßte ihn doch jeder erkennen!
Am "besten" ist die Fluchtszene von Lector: Clarice hat ihn mit Handschellen an sich gefesselt, Lector hat ein Beil in der Hand und droht, Clarice die hand abzuhacken. Dann schlägt er sich die Hand ab (er opfert sich für Clarice) - anstatt die Kette der Handschellen durchzuschlagen.
Eine ganz nette Hommage ist die Szene, als Clarice durch einen Wald läuft; diese Szene ist nahezu identisch mit der Anfangsszene aus dem "Schweigen". Ach ja, ein auch ganz netter "Gag": Sowohl in der Spielzeit als auch real sind 10 Jahre zwischen den beiden Filmen vergangen. Apropos Spielzeit: etwas mehr als 2 Stunden, wobei die erste nur langweilig ist.

Alles in allem hatten die vielen schlechten Kritiken leider recht - der Film ist absolut enttäuschend und leider nur schlecht, der psychologische Tiefgang aus dem "Schweigen der Lämmer" fehlt gänzlich - was aber auch dem Roman vorwerfen muß. Zwar hat Scott das Ende umschreiben lassen (im Buch essen beide das Hirn, Starling wird zur Kannibalin), aber trotzdem von Tiefgang keine Spur - nur ein "normaler" Thriller, der die Genialität seines Vorgängers demontiert. Der Trailer ist besser als der ganze Film. Und kann mir einer den Sinn des Motives auf dem Plakat erklären? Lector sieht darauf aus, als wäre er gerade aus dem Grab gekrochen.
Ein bißchen Hirn hätte doch nicht schaden können! Willkommen bei Braindead 2 - Hätte man das Schweigen doch nie gebrochen, dann wäre uns dieser Mainstreamfilm (nur auf Kommerz ausgelegt) erspart geblieben.