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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





1. August 2010
Felix Giesa
für satt.org

 

Jakob
Felix Mertikat
(Illustration)
Benjamin Schreuder
(Szenario)
Cross Cult 2010
64 S., € 16,80
» Cross Cult
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Todessehnsucht

Während unter dem Begriff der graphic novel ein vermeintlicher Begriff für Erwachsenencomics weithin Verbreitung findet, gerät der Kindercomic etwas ins Abseits. Zwar wird auf dem Comic-Salon in Erlangen alle zwei Jahre ein Preis für den besten Kindercomic ausgelobt, – den in diesem Jahr völlig zu recht Nadia Budde für ihr Comicdebut »Such dir was aus, aber beeil dich« erhalten hat – dabei erscheinen seit einigen Jahren wieder vermehrt Comics, die sich gezielt an ein junges Lesepublikum richten. Die Bandbreite reicht von Literaturadaptionen wie Joann Sfars »Der kleine Prinz« über die Comics etablierter Bilderbuchkünstler wie Rotraut Susanne Berner oder Philip Waechter bis zu originären Geschichten wie Sara Varons »Robo und Hund«. Eine Fortführung dieser Erscheinung findet sich nun im soeben erschienen »Jakob« von den Ludwigsburger Filmstudenten Felix Mertikat und Benjamin Schreuder; vom Format her eher an ein Bilderbuch erinnernd und überraschenderweise im Cross Cult Verlag verlegt, der mit seinen kleinen, feinen Hardcoverbänden normalerweise eine ganz andere Leserschaft als Grundschüler anspricht.

Der Verlag ordnet die Geschichte um den kleinen Jakob, der verzweifelt seine Mutter sucht, in die Tradition der Andersen’schen Märchen, des »Kleinen Prinzen« und auch Burtons Kino. Tatsächlich ist Jakobs Suche mit all den sprechenden Tieren und ihren phantastischen Momenten jedoch dem romantischen Kunstmärchen eines E. T. A. Hoffmann sehr nahe, auch in seinen nicht wenigen schauerlichen Episoden. Denn so viel ist nicht nur dem erwachsenen Leser sehr schnell klar, Jakobs Mutter ist gestorben. Alle wissen es, alle begreifen es, nur eben nicht Jakob, der den Gesang der Sargträger als Hinweis missversteht: »Denn nur die Raben kennen den Weg.« Und so macht der Knabe sich auf durch eine auch optisch der Hochromantik angelehnten Welt, um seine Mutter zu finden.

Findet Felix Mertikat für diese verzweifelte Suche mit seinen Aquarellzeichnungen eine beeindruckende und ausgereifte Bildsprache, die alle Register des Comic einzusetzen vermag, gelingt dies auf der Handlungsebene Benjamin Schreuder nur mit weniger Kohärenz. Es sind weniger die Vielzahl der permanenten Szenenwechsel und immer neuen Begegnungen, die Schreuder seiner Figur auferlegt, und die einem das Gefühl geben, er habe auf die vielen guten Ideen nicht verzichten wollen. Sondern es ist vielmehr seine Sicht auf Jakob. Zwar scheint dieser in seiner unbefangen, nicht mehr nur naiven Art tatsächlich etwas quengelig wie Saint-Exupérys Prinz. Aber mit seiner totalen Weltfremdheit ist er damit einem Achtjährigen in keiner Weise angemessen, eher gleicht er einem Vierjährigen. Besonders schmerzlich wird das klar, wenn in der Schlüsselszene Jakob von einem Fuchs um seine Kindheit betrogen wird und der Betrüger feststellt: »Du verstehst es wirklich nicht, oder?« Bis hierhin hätte man ja durchaus annehmen können, Jakob habe aufgrund des traumatischen Verlusts den Tod seiner Mutter ausgeblendet. Hier jedoch wird offenbar, das Jakob noch gar kein Konzept vom ‚Tod‘ hat; dieses hat jedoch ein Achtjähriger allemal.

Der Grund für diese Schwachstelle dürfte darin begründet liegen, dass man eine Geschichte um den Tod kleineren Kindern nicht zumuten wollte. Was tragisch ist, denn mit dieser Hauptfigur trägt die Geschichte nicht und es ist ärgerlich, dass ein Comic, der so hinreißend ausschaut, nur aufgrund eines altbackenen Kindheitsbildes scheitert. Denn das die Geschichte, zumindest aus Jakobs Augen, ‚gut‘ ausgeht, ist auch schon für Sechsjährige nachvollziehbar.

Mertikat hat mit »Jakob« an der Ludwigsburger Filmakademie sein Diplom erhalten und möchte in Zukunft als Storyboarder arbeiten, hoffen wir, dass er dem Comic dennoch erhalten bleibt. Schreuder wird noch dieses Jahr ebenfalls an der Filmakademie sein Diplom erhalten und sich danach dem Film zuwenden. Sollte es ihm gelingen, seinen Figuren mehr zuzutrauen und seine Fabulierlust zu straffen, werden wir sicherlich noch einige schöne Szenarien von ihm zu lesen bekommen.