Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





14. Juli 2009
 

satt.org-Sommerleseliste 20093

Teil 4 | Teil 3 | Teil 2 | Teil 1

Schnell vor dem Urlaub noch in den Buch- oder Comicladen. Schnell noch etwas Lektüre für die schönen Stunden des Müßiggangs. Denn es ist zumindest ein Ideal, eine romantische Vorstellung: Im Urlaub, am Strand, abends vor dem Zelt oder auf der Terrasse sitzend findet man endlich die Ruhe, zu lesen, wofür in der stressigen Zeit vor dem Urlaub die Ruhe fehlte. Oder als Daheimgebliebener, die Ruhe der Stadt genießend, begibt man sich mit seiner Wunschlektüre in den Park ...

Was möchten eigentlich die Comic-Schaffenden, die Zeichner, Kritiker, Herausgeber im Sommer lesen? Welche Lektüre – ob Comics oder andersweitige Literatur - haben sie sich zurechtgelegt und worauf freuen sie sich? Klaus Schikowski und Felix Giesa haben nachgefragt und bedanken sich bei allen, die freigiebig Auskunft über ihre Wunschlektüre gegeben haben.

  Frank Schulz: Das Ouzo-Orakel (Eichborn)
Philip K. Dick: Marsianischer Zeitsturz (Heyne)
Kazuo Koike & Goseki Kojima - Lone Wolf & Cub
Hans Fallada - Der Trinker (Aufbau Verlag)
Wenzel Storch - Der Bulldozer Gottes (Ventil Verlag)
Baku Yumemakura und Jiro Taniguchi - Gipfel der Götter
Fun Home von Alison Bechdel
Muchacho von Emmanuel Lepage
Jeff Lemire: „The Country Nurse“
Emmanuel Guibert: „Alan’s War“
Seth: George Sprott (1894-1975)
Posy Simmonds: „Tamara Drewe“
Flix: „Da war mal was“
Hideo Okazaki und Kazuo Kamimura: „Shinanogawa“
Tim und Struppi Farbfaksimile-Ausgaben von Hergé
Ein guter Ort zum Sterben von Arkadi Babtschenko
Die Kosaken (Diogenes)
Final Crisis HC

Im dritten Teil der „satt.org-Sommerleseliste 2009“ berichten Andreas C. Knigge, Christian Maiwald, Frauke Pfeiffer, Lars von Törne, Martin Jurgeit und Torsten Franz von ihren sommerlichen Leseplänen.

Andreas C. Knigge

  • Frank Schulz: Das Ouzo-Orakel (Eichborn)

  • Joseph O'Neill: Niederland (Rowohlt)

  • Mickey Spillane: Das Ende der Straße (Rotbuch Krimi)

  • Philip K. Dick: Marsianischer Zeitsturz (Heyne)

Andreas C. Knigge ist Publizist und u. a. Herausgeber des Text + Kritik Sonderbandes: Comics, Mangas, Graphic Novels.

◊ ◊ ◊

Christian Maiwald

  • Kazuo Koike & Goseki Kojima - Lone Wolf & Cub 27 & 28 (Planet Manga)
    Endlich kommt die Samuraisaga um den in Unehre gefallenen Kaisahkunin Ogami Itto und seinem Sohn Daigoro zu ihrem Ende. Auch ohne ein Serienleser zu sein hat jeder Band aufs neue gefesselt und ob es nun die vor allem in der ersten Hälfte im Vordergrund stehenden wie Kurzgeschichten erzählten Episoden über Ittos Schaffen als Auftragsmörder sind oder die Weiterführung der zentralen Handlung: Alles ist brillant erzählt und mit mal feinem, mal kräftigen, aber immer realitätsnahem Strich festgehalten.

  • Heinz-Ludwig Arnold und Andreas C. Knigge (Hg.) Text + Kritik Sonderband: Comics, Mangas, Graphic Novels. (edition text und kritik)
    Man freut sich immer über profunde Sekundärliteratur, die über reine Geschichtsforschung hinausgeht und das Inhaltsverzeichnis verspricht interessante Stunden mit aus der Presse bekannten Autoren: Gasser, Platthaus, Knigge, Schikowski und viele Weitere begeben sich in inhaltliche Tiefen, in die ich gerne folge.

  • Hans Fallada - Der Trinker (Aufbau Verlag)
    Ein Klassiker der Strandkorblektüre. "Untergang eines Kleinbürgers" verspricht vollmundig die Rückseite und schon auf den ersten Seiten ist man mittendrin und dabei, wie Erwin Sommer sein Leben entgleitet und er sich mit erstaunlicher Zielstrebigkeit dem Suff hingibt.

  • Wenzel Storch - Der Bulldozer Gottes (Ventil Verlag)
    Ähnlich verstrahlt wie seine Filme sind auch die hier versammelten Kolumnen, Geschichten, Gedichte und Bildwerke des Hildesheimer Ausnahmekünstlers: Katholizismus, Karl Mai, Krautrock und Hans Moser und noch viel mehr feiern hier ein durch Storchs herrlich verschwurbelte Hirnwindungen gefiltertes Stelldichein. Nicht nur zwischen den Zeilen liest sich das wie eine herrliche Abrechnung mit dem oft übersehenen Mief der westdeutschen Siebziger und Achtziger.

  • Baku Yumemakura und Jiro Taniguchi - Gipfel der Götter 1-5 (Schreiber und Leser)
    Schon bei "Der Wanderer im Eis" und "Die Stadt und das Mädchen" zeigte sich Taniguchis Interesse Bergen und wie man sie erklimmt. Zusammen mit Autor Yumemakura steht in dieser nun vollständig erhältlichen und insgesamt rund 1600-seitigen Erzählung beides nun ganz im Mittelpunkt. Die Faszination für den Wagemut bei der Gipfelbezwingung wird mit einer dramatischen Erzählung um konkurrierende Bergsteigerlegenden verknüpft. Das mag nicht wirklich in den Sommer passen, aber beginnt man einmal ein Buch Taniguchis, ist man eh verloren und nimmt von der Umwelt kaum noch Notiz. Auf Sonnenschutz achten, bevor man den ersten Band aufschlägt!

Christian Maiwald ist Redakteur beim deutschen Indie-Comic-Flagschiff Reprodukt.

◊ ◊ ◊

Frauke Pfeiffer

  • Fun Home von Alison Bechdel (Kiwi)
    Es gibt einige (moderne) Klassiker im Comicbereich, die man definitiv gelesen haben sollte, weil sie wegweisend sind und/oder enorm gute Kritiken erhalten haben. Fun Home gehört in diese Kategorie. Das gute Stück liegt sogar schon in der Originalversion auf meinem Tisch und wartet nur darauf, in die Hand genommen zu werden.

  • Aufzeichnungen aus Birma von Guy Delisle (Reprodukt)
    Nach Shenzhen und Pjöngjang der dritte, vor kurzem erschienene, autobiografische Reisebericht des Kanadiers. Unaufdringlich eindringlich erzählt er von seinen Eindrücken des Lebens in den uns so fremd erscheinenden ostasiatischen Ländern. Befindet sich auf der Startlinie in meinen vier Wänden.

  • Muchacho von Emmanuel Lepage (Carlsen)
    Hatte ich schon öfter mal auf meiner "Mal schauen"-Liste, aber nach der Empfehlung von Reinhard Kleist ("Die Liebesgeschichte ist so überraschend und wunderschön wie traurig") ist dieser Comic definitiv bald dran.

  • Kleiner Vogel Rot von Christopher Bünte und Veronika Mischitz (Zwerchfell)
    Das Artwork und die Inhaltsbeschreibung haben mich neugierig gemacht, außerdem kenne ich Autor und Zeichnerin persönlich. Also ein Muss auf meiner Sommerleseliste. Und, wer hätte es gedacht, ebenfalls schon physisch anwesend in meiner Wohnung.

Und dann wird noch alles gelesen, was an US-TPBs zu Ex Machina, Buffy, The Umbrella Academy und Wasteland erscheinen könnte sowie Darkness-Heftchen (Letzteres im Abo als mein "guilty pleasure"). Und was mir sonst noch so beim Stöbern im Internet auffällt, ich kaufe oft recht spontan.

Hector Umbra von Uli Oesterle (Carlsen) würde übrigens auf meiner Sommerleseliste stehen, wenn ich nicht die limitierte Ausgabe von Edition 52 abwarten würde, die erst Ende des Jahres erscheint.

Frauke Pfeiffer ist Chefredakteurin des soeben mit dem ICOM Sonderpreis ausgezeichneten COMICGate Magazins.

◊ ◊ ◊

Lars von Törne

  • Jeff Lemire: „The Country Nurse“ (Top Shelf)
    Weil die ersten beiden Bände von Jeff Lemires Essex-County-Trilogie zu den bewegendsten, traurig-schönsten Comic-Erzählungen gehören, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe – und weil nur wenige Zeichner einen so rauen, kantigen Strich mit so viel Sensibilität für die menschlichen Schwächen, Sorgen und Hoffnungen ihrer Hauptfiguren verbinden wie dieser kanadische Hoffnungsträger, dessen Werk hoffentlich auch bald auf Deutsch erscheint. (Anm. d. Red.: Bei der Edition 52 ist die Gesamtausgabe der Essex-County-Trilogie für den Herbst 2009 angekündigt.)

  • Emmanuel Guibert: „Alan’s War“ (First Second)
    Weil Guibert mit diesem Buch sowie mit dem etwa zeitgleich entstandenen „Der Fotograf“ vorgeführt hat, welches bislang nur ansatzweise genutzte Potenzial im Comic noch steckt, wenn man das Medium nur ernst genug nimmt – und wenn ein begnadeter Künstler sich einer faszinierenden Biographie widmet und sein Können in den Dienst der Erzählung stellt. Dieses Buch habe ich zwar bereits zwei Mal gelesen – aber wie „Der Fotograf“ werde ich es noch lange immer wieder zur Hand nehmen und mich an der Fähigkeit zur erzählerischen Verdichtung sowie an der handwerklichen Meisterschaft Guiberts zu erfreuen.

  • Seth: „George Sprott (1894-1975)“ (Drawn & Quarterly)
    Weil Seth einen ebenso untrüglichen Sinn für Stil wie für kuriose Charaktere hat.

  • Pierre Dragon/Frederik Peeters: RG – Verdeckter Einsatz in Paris (Carlsen)
    Weil Peeters’ „Blaue Pillen“ eine der anrührendsten, persönlichsten und kunstvollsten Liebes- und Krankheitsgeschichten ist, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe - und weil ich hoffe, etwas von der in seinen Bildern ausgedrückten Mischung aus Einfühlungsvermögen, Witz und Trotz auch in diesem Buch wiederzufinden. Auch wenn es diesmal nicht um Aids geht, sondern um Polizeiabenteuer.

  • Posy Simmonds: „Tamara Drewe“ (Jonathan Cape)
    Weil ich das Vorgängerwerk von Posy Simmonds – „Gemma Bovery“ – für eine der scharfsinnigsten, witzigsten, intelligentesten und außerhalb Großbritanniens zu Unrecht am meisten unterschätzten Auseinandersetzungen mit den Träumen, Enttäuschungen und Lebenslügen bildungsbürgerlicher Mittelschichtler halte. Wenn der im vergangenen Jahr erschienene Nachfolger „Tamara Drewe“ nur ungefähr das Niveau halten kann (und ein erstes Durchblättern lässt darauf schließen), dürfte es ebenfalls ein Meisterwerk sein, das auch von deutschen Verlagen schnellstens zu entdeckt werden lohnt. (Anm. d. Red.: „Tamara Drewe“ ist bei Reprodukt für Oktober 2009 angekündigt.)

  • Michel Rabagliati: „Paul à Québec“ (Pastéque)
    Weil Rabagliatis „Paul“-Serie mich dazu bewegt hat, mein Schulfranzösisch nach langer Abstinenz wieder zu beleben, um ja kein Kapitel dieser in seiner betont undramatischen Alltäglichkeit schon wieder spektakulären Halb-Autobiographie zu verpassen. (Tipp für Einsteiger ohne Schulfranzösisch: Den ersten Band „Pauls Ferienjob“ gibt es auf Deutsch bei Edition 52!)

  • Flix: „Da war mal was“ (Carlsen, erscheint im August)
    Weil ich mich alle vier Wochen, wenn Flix’ neuer Strip bei uns im Tagesspiegel erscheint, darüber freue, wie viele persönliche, frische und Leser jeden Alters ansprechende Geschichten sich rund um das vermeintlich ausgelutschte Thema deutsche Teilung auch 20 Jahre nach dem Mauerfall noch erzählen lassen. Ich habe in den drei Jahren zwar fast alle Strips gelesen, sobald sie bei uns in der Zeitung standen – auf den jetzt erscheinenden Sammelband freue ich mich trotzdem sehr, denn bei Flix entdeckt man erfahrungsgemäß beim erneuten Lesen seiner Geschichten viele Details und Zwischentöne, die einem beim ersten Mal gar nicht aufgefallen waren, weil die Story so glatt runterging.

  • Hideo Okazaki und Kazuo Kamimura: „Shinanogawa“ (Carlsen Manga)
    Weil „Lady Snowblood“, gezeichnet von Kamimura, zu den schönsten – und erotischsten - Blut- und Rachedramen gehört, das ich seit dem in dieser Hinsicht unübertroffenen „Old Boy“ gelesen habe und ich mir wegen dieser beiden Meisterwerke geschworen habe, meine durch zu viel mittelmäßige Teenager-Ware provozierte latente Manga-Unlust zumindest bei Werken dieses Kalibers zu überwinden.

Lars von Törne ist Redakteur beim Tagesspiegel und betreut dort die Comicseiten.

◊ ◊ ◊

Martin Jurgeit

Da ich seit zwei, drei Jahren aufgrund gewisser Vorkommnisse konsequent die Übertragungen von der Tour de France boykottiere, hat sich gerade der Juli im Hinblick auf mein Zeitkonto sehr positiv entwickelt. Somit kann auch ich mich guten Gewissens an der Sommerleseliste beteiligen ...

  • Tim und Struppi Farbfaksimile-Ausgaben von Hergé (Carlsen)
    Diese Bände liegen derzeit ganz oben auf meinem Lesestapel. Es handelt sich hierbei um liebevoll editierte Ausgaben früherer Versionen von Hergés Comic-Klassikern. Da ich mir wohl nie die "originalen" Casterman-Alben mit den ersten deutschen Übersetzungen leisten kann, bin ich auf diese Alben wirklich sehr gespannt.

  • Ein guter Ort zum Sterben von Arkadi Babtschenko (rowohlt Berlin)
    Nach seinem ergreifenden Roman-Debüt "Die Farbe des Krieges" schildert Babtschenko wieder Episoden aus dem Tschetschenien-Krieg, den er aus eigener leidvoller Anschauung aus seinen Einsätzen auf Seiten der russischen Okkupationstruppen kennt.

  • Hadschi Murat (Manesse), Die Kosaken (Diogenes), Herr und Knecht (Diogenes) – alle von Lew Tolstoi
    Passend zu Babtschenko will ich dann noch die diversen Kaukasus-Erzählungen von Lew Tolstoi (wieder-)lesen, die mich vor vielen Jahren schon als verstümmeltes Jugendbuch (Prisma Jugendbibliothek) in ihren Bann gezogen haben. Große Dichtung und gleichzeitig auch schlimme Greuelpropaganda, die noch heute das Bild der Russen von den Kaukasusvölkern vergiftet.

  • Gipfel der Götter 1 bis 5 von Jiro Taniguchi & Baku Yumemakura (Schreiber & Leser/shodoku)
    Wenn dann noch Zeit bleibt, gönne ich mir dieses Manga-Epos von gut 1500 Seiten in Gänze. Endlich werde ich dann erfahren, wie dieses alplinistische Abenteuer ausgeht. (Übrigens mein erste Leseerfahrung mit einem Bergsteiger-Comic überhaupt!)

Martin Jurgeit schreibt als freier Journalist für Blätter wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und den Berliner "Tagesspiegel". Außerdem ist er Chefredakteur der Comic-Fachzeitschrift COMIXENE.

◊ ◊ ◊

Torsten Franz

  • Final Crisis HC von Grant Morrison u. a. (DC Comics, Juni 2009)
    So liebe ich meine Blockbuster. Laut, bunt, aber die Leserschaft nicht unterfordernd. Grant Morrison fasst noch einmal alle Thematiken seines mehr als 20jährigen Comicschaffens in einer wilden Materialschlacht zusammen ...

  • "Asterios Polyp" von David Mazzucchelli (Pantheon Books, Juli 2009)
    Laut eigenem Bekunden die erste Graphic Novel des als Zeichner von Batman: Year One und Daredevil: Born Again (aus der Feder des damals noch relevanten Frank Miller) bekannt gewordenen US-Amerikaners. Ich bin gespannt.

  • Wednesday Comics von Paul Pope, Kyle Baker, Neil Gaiman, Michael Allred u. v. a. (DC Comics, 12 Ausgaben, wöchentlich ab 8. Juli 2009)
    Ein verlegerisches Experiment das es in sich hat: 12 im Wochenabstand erscheinende Ausgaben im Zeitungsformat, in dem viele Top-Namen der US-Szene ihre Interpretationen bekannter und obskurer Helden des DC-Universums serialisieren.

Torsten Franz ist Webmaster bei und Mitherausgeber von satt.org.

◊ ◊ ◊