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Mai 2008
Felix Giesa
für satt.org

Didier Lefèvre, Emmanuelle Guibert, Fréderic Lemercier: Der Fotograf. Band 1: In den Bergen Afghanistans

Bilder des Krieges

Es ist seit jeher dasselbe: Während eines kriegerischen Konflikts ist es immer die Zivilbevölkerung, die am meisten Not leiden muss. So war es auch in den 1980er Jahren in Afghanistan, nachdem 1979 die sowjetische Armee in das Land einmarschiert ist. Vollkommen abgeschieden war die Bevölkerung auf Hilfe von außerhalb angewiesen. Eine der humanitären Hilfsgruppen, die bereits früh im Land halfen, waren die „Ärzte ohne Grenzen“. In behelfsmäßigen Feldlazaretten wurde eine medizinische Versorgung gewährleistet, die ansonsten vollkommen fehlte. Was für Gefahren und Strapazen diese Missionen auch für die Helfenden bedeuten, zeigt nun der soeben erschienene Band „Der Fotograf“.

Im Hochsommer 1986 bricht eine Hilfsgruppe von „Ärzte ohne Grenzen“ aus dem pakistanischen Peshawar auf, um 1000 Kilometer zu Fuß und zu Pferd durch das Gebirge nach Afghanistan zu gelangen. Begleitet werden sie dabei von dem französischen Fotografen Didier Lefèvre. Dieser hat während der gesamten ,Expedition’ das Geschehen mit der Kamera festgehalten. Gemeinsam mit dem Comiczeichner Emmanuel Guibert hat er fast zwanzig Jahre später einen Comic daraus gemacht – und so einen Meilenstein des recht jungen Genres Comicjournalismus geschaffen. Denn „Der Fotograf“ integriert Lefèvres Foto in die Comicgeschichte Guiberts. Für die Geschichte ergeben sich daraus zwei einzigartige Konsequenzen: Der gezeichneten Comicreportage wird durch die einmontierten Fotos eine Authentizität verliehen, die anderen Comicreportagen fremd ist. Im Vergleich zu herkömmlichen Fotostrecken jedoch, gewinnen die Fotos durch die Ergänzung des Comictextes eine Bedeutung, die diesen als nicht narrativem Medium fehlt.

So bezeugen zum Beispiel die fotografierten Portraits der Expeditionsteilnehmer, dass diese ,echte’ Menschen sind und nicht nur gezeichnete Comicfiguren. Die Comicgeschichte hingegen verleiht ihnen eine Persönlichkeit, indem Lefèvre seine Erfahrungen mit ihnen beschreibt. Die Fotos sind allesamt schwarz-weiß, was für den Betrachter einen beeindruckenden Effekt hat. In den unkommentierten Momentaufnahmen etwa, wenn der Fotograf planlos durch Peshawar läuft und einfach nur knipst, was ihm vor die Linse kommt, wird den Menschen in diesen kühlen, distanzierten Bildern der Rest Würde gelassen, den sie sich trotz unsäglicher Armut und Kriegsleiden bewahren konnten. Gleichzeitig macht es aber auch ein genaues Hinschauen erst möglich. Wie etwa dann, wenn die Karawane immer wieder an sterbenden Transportpferden vorbeikommt. Die Mudschaheddin überlassen diese Tiere traditionell ihrem Schicksal – ein gestochenes Farbbild dieses ausgemergelten Todeskampfes wäre schlicht unerträglich. Das schwarz-weiße Bild hingegen verleiht der Situation beinahe schon einen andächtigen Anblick.

„Der Fotograf“ ist eine in drei Bänden abgeschlossene Serie, von der die Edition Moderne nun mit „In den Bergen Afghanistans“ den ersten Band vorlegt. Es ist ein einmaliges Zeugnis intermedialer Ergänzung, in dem sowohl der Comic als auch die Fotografie perfekt eingesetzt werden, um die jeweils anderen Grenzen auszufüllen. Darüber hinaus kehrt es zu den Anfängen des Comics zurück, als sich die frühesten Comiczeichner der Einstellungstechniken des Films und der Fotografie bedienten. Wenn im kommenden Jahr der Abschlussband vorliegt, dann ist zu hoffen, dass auch ihm, wie dem französischen Original auch, eine DVD mit Videoaufnahmen der Expedition beiliegen wird. Dann wäre die intermediale Kooperation perfekt.



Didier Lefèvre, Emmanuelle Guibert,
Fréderic Lemercier: Der Fotograf.
Band 1: In den Bergen Afghanistans

Edition Moderne, 80 S., € 24,00
» www.editionmoderne.de
» amazon

Abbildungen aus "Der Fotograf" © Edition Moderne

Didier Lefèvre, Emmanuelle Guibert, Fréderic Lemercier: Der Fotograf. Band 1: In den Bergen Afghanistans

Bevor Guiberts Comiczeichnungen die unterschiedlichen Teilnehmer der Karawane vorstellen, bezeugt das Foto von Lefèvre, dass alles folgend geschilderte tatsächlich stattgefunden hat.



Didier Lefèvre, Emmanuelle Guibert, Fréderic Lemercier: Der Fotograf. Band 1: In den Bergen Afghanistans

Die Vorgehensweise in Bild 1 wird auf dieser Seite umgekehrt: Die Comiczeichnung schafft die Ausgangsituation des planlosen Herumirren und knipsen. Die Fotos sind die Dokumente dieser Episode.



Didier Lefèvre, Emmanuelle Guibert, Fréderic Lemercier: Der Fotograf. Band 1: In den Bergen Afghanistans

Inmitten der Einöde und all der Strapazen schaffen es die Teilnehmer der Expedition trotzdem ihren Humor zu behalten und können sich köstlich über den Vergleich eines Greises mit einem französischen Musiker amüsieren.