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April 2008
Christopher Pramstaller
für satt.org

Die Stadt als Organismus
Neo Tokyo3. Architektur in Manga und Anime

Die ,Stadt’ entwickelt sich und ist ein komplexes Gebilde. Als kultureller Schnittpunkt und Netzwerk nimmt sie Einflüsse in sich auf, verarbeitet sie und produziert Neues. Dabei stellt die Massengesellschaft ganz eigene Anforderungen an unterschiedlichste Lebensbereiche. Vor allem auch an die Architektur. Den Metabolisten, einer Gruppe japanischer Architekten der Spätmoderene um Kenzo Tange und Arata Isozaki, war das bewusst. Seit den frühen 1960er Jahren entwickelten sie Konzepte, die den neuen Herausforderungen an den städtischen Raum gerecht werden sollten. Die Stadt als lebender Organismus war die maßgebliche Vorstellung ihrer Architekturkonzepte. Ein Ort, der sich von den Bewohnern in einem vitalen Prozess gestalten lässt, mit ihnen wächst und ihren Bedürfnissen Rechnung trägt – durch flexible, sich anpassende Formen und erweiterbare Elemente, die sich zu Megastrukturen zusammenfügen. Damals wie heute wirken sie auf uns jedoch oftmals kalt, anonym und identitätslos. Die Stimmung die sie vermitteln ist utopisch und überwältigend. Der Mensch scheint in diesen riesigen Strukturen und monumentalen Bauten verloren und unterzugehen.

Neo Tokyo3. Architektur in Manga und Anime
Metabolistisches Konzept - “Cluster in the Air“ von Arata Isozaki (1962).
(Fotos © Architekturmuseum Frankfurt)

Die Architektur ist eines der vielen Elemente der Bildstruktur, die im Comic Dichte und Atmosphäre schaffen. Sie trifft eine ganz bestimmte Aussage und schafft den Protagonisten einen Rahmen für ihre Handlungen und Erlebnisse. So griffen Anfang der 1980er Jahre einige Manga-Zeichner die architektonischen Konzepte der Metabolisten auf und ließen sie in ihre Arbeit einfließen. Besonders die monolithischen Monumentalbauten Kenzo Tanges scheinen es den Zeichnern angetan zu haben. Sie finden sich in so bekannten Werken wie „Akira“, „Ghost in the Shell“ oder auch „Appleseed“.

In ihren Werken nutzen die Zeichner die Stimmung der Megastadt, die nach ihren ganz eigenen gesellschaftlichen und kulturellen Normen zu funktionieren scheint. Denn die Anonymität und Menschenfeindlichkeit auf der architektonischen Seite spiegelt sich direkt in den Gesellschaften der Megastädte wider. Meist sind die Geschichten in prä-apokalyptischen Szenarien angelegt. In Armut und Verwahrlosung sind die Bewohner dieser Städte sich selbst entfremdet und taumeln dem Abgrund entgegen. Das theoretische Konzept der Metabolisten wird hier zum realen Handlungsraum der Geschichten. Es ist nicht mehr nur Plan und Modell sondern wird Realität. Als Handlungsraum, der Stimmungen hervorruft und Lebenswelten erlebbar macht, lassen die Autoren das Bild einer konkreten Zukunftsvision entstehen, das für uns greifbar wird.

Neo Tokyo3. Architektur in Manga und Anime
Megastadt im Anime.

Die Zeichner übernahmen jedoch nicht nur den architektonischen Diskurs und integrierten ihn in ihre Arbeit. Vielmehr schrieben sie ihn fort und verbanden ihn mit unbändigem Fortschrittsglauben, der mit einem den Japanern einzigartigen Vertrauen in die technisierte Zukunft einhergeht. So zu sehen im Anime „Neon Genesis Evangelion“, in dem das Zentrum der futuristischen Hauptstadt Japans im Erdboden versenkbar ist, um allen äußeren Gefahren zu trotzen.

Neben all dieser kalt wirkenden futuristisch-technisierten Zukunft, finden sich in diesen Städtevisionen jedoch auch immer kleine Gassen, der Laden an der Ecke oder das Leben vor der Tür des Einfamilienhauses. Die intakte Gesellschaft ist immer Verbunden mit alten Strukturen. Während das neue Monumentale für Anonymität steht, stehen die alten Strukturen für Leben. Beide Bereiche existieren Seite an Seite. Damit unterstreichen die Zeichner die traditionell japanische Eigenschaft, sich mit unterschiedlichsten kulturellen Strömung zu arragnieren, ihre Wesenszüge zu adaptieren und sie in ihr eigenes Gedankengut zu integrieren.

Neo Tokyo3. Architektur in Manga und Anime
Blick in die Räumlichkeiten des Architekturmuseum in Frankfurt, wo derzeit die Ausstellung „Neo Tokyo3“ gezeigt wird.

Die Ausstellung schafft es, die Thematik aufzuarbeiten, sie ansprechend darzustellen und in einen größeren Diskurs einzugliedern. Das Thema der Architektur in Manga und Anime ist zwar begrenzt und mitunter etwas speziell, doch scheint genau dies die Stärke der Ausstellung zu sein. Die Kuratoren haben es geschafft eine nachvollziehbare Brücke zwischen den gedanklichen Konstrukten einer Architektengruppe und deren Aufarbeitung in der japanischen Popkultur zu schlagen. Auch auf der medialen Seite weiß die Ausstellung zu überzeugen. Es herrscht kein Overkill, in der das „zu viel“ den Weg für das Wesentliche versperrt. Die Exponate - Architekturmodelle, Zeichnungen und Filme - sind gut gewählt und stehen Beispielhaft für verschiedene Facetten der Auseinandersetzung mit dem Metabolismus.

„Neo Tokyo3“ kann auf allen Ebenen überzeugen. So lädt die exzellent kuratierte Ausstellung ein, Manga und Anime auf einer Ebene zu erleben, die sich abseits von bunter Plastikwelt und Kulleraugen bewegt, und gerade dadurch ihren ganz eigenen Reiz gewinnt.



Neo Tokyo3. Architektur in Manga und Anime
Deutsches Architekturmuseum Frankfurt
Die Ausstellung läuft noch bis zum 8. Juni.
Öffnungszeiten: Di, Do - So 11:00 - 18:00,
Mi 11:00 - 20:00, Mo geschlossen.
Es ist ein zweisprachiges Katalogheft
zur Ausstellung erschienen.
» www.dam-online.de