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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





November 2007
Felix Giesa
für satt.org

US-Indie Comics.
Der andere US-Comicmarkt.

Ein persönlicher Rundumschlag
durch die letzten zwölf Monate.

Neben den gemeinhin bekannten großen Comicverlagen DC, Marvel, Dark Horse und Image, gibt es in den USA zahlreiche Klein- und Kleinstverlage, die immer wieder durch die Veröffentlichung wahrer Kleinode der Comickunst auf sich aufmerksam machen. Eine kleine, keineswegs repräsentative, Umschau soll dieser Artikel liefern.

Nicolas Robel: Joseph

Nicolas Robel: Joseph

Die bereits 1999 in der französischen Schweiz veröffentlichte Kurzgeschichte greift Themen wie die kindliche Entfremdung von den eigenen Eltern und Außenseitertum auf. Die Entfremdung des Jungen Joseph visualisiert Nicolas Robel indem er ihn mit zwei riesigen Händen straft. Diese stoßen seinen Vater ab und machen ihn zum Gespött seiner Klassenkameraden. In einer surrealen Verwebung von Josephs (Alp)träumen, kindlichen Tagträumereien und der realen Welt entwirft der Zeichner ein anrührendes Profil des missverstandenen Jungen. Mit graphisch stark reduziertem Strich zeichnet Robel seinen Comic. Dabei führt er dem Leser eine dunkle Umgebung vor Augen, in der sich Joseph zu Recht zu finden hat. Unterhält er sich zu Beginn der Geschichte noch mit Schattenspielen seiner Hände selber, so werden aus den Schatten bald bedrohliche, beinahe das gesamte Panel ausfüllende, unartikulierbare Schrecken. Von diesen verängstigt und getrieben von dem Wunsch nach Anerkennung und Gleichheit hetzt er fieberhaft durch Traum und Realität, schrecklich inszeniert, wenn er sich mit einem Küchenmesser eine Hand abhackt. Nur um gleich darauf feststellen zu müssen, dass er seinem Schicksal nicht entkommen kann und die Hand wieder nachwächst. Der Band erscheint bei Drawn & Quarterly in der wunderbaren „Petits Livres“-Reihe, in der auch schon z.B. Guy Delisles „Aline and the others“ erschien.


Nicholas Robel: Joseph
Drawn & Quarterly, 48 Seiten, $ 9.95
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Aron Nels Steinke: Big Plans.
Numbers One and Two

Aron Nels Steinke: Big PlansAron Nels Steinke: Big Plans

Im Jahr 2006 hat Aron Nels Steinke für sein autobiographisches Minicomic “Big Plans” einen Xeric Award gewonnen, was es ihm ermöglichte, diese Geschichten zu Beginn 2007 in einem größerem Umfang zu veröffentlichen. Im Sommer konnte er nun bereits die zweite Nummer vorlegen. Dabei sind die im Miniformat gestalteten Hefte auch vom Layout her sehr spärlich gestaltet. Zumeist in einem zwei mal drei Panelformat wird die Handlung dargeboten. Aron erzählt in seinen Geschichten sowohl seine aktuellen Erlebnisse, als auch teilweise von Kindheitserinnerungen. Das ist zumeist unterhaltsam, teilweise wirft es aber auch ein kritisches Licht auf die Menschen in den Staaten. So findet sich in der ersten Ausgabe die zentrale Erzählung „The Terrorist“, in der Steinke erzählt, wie er mit seiner Freundin im Sommer 2006 nach New York fliegen möchte. Nachdem sie alle Kontrollen hinter sich gebracht haben und in der Wartehalle sitzen, fällt Arons Freundin auf, dass sie von einem Fremden beobachtet wird. Die amerikanische Paranoia nach 9/11 ungeschminkt vorführend erzählt er, wie die beiden sich gegenseitig hochschaukeln, bis sie davon überzeugt sind, das der Fremde ein Terrorist ist. Die wenigen und kaum wertenden Kommentare erlauben dem Leser einen Blick in das Denken Steinkes und fordern ihn auf, ein eigenes Werturteil zu fällen. Mehr unterhaltsamer Natur ist die Geschichte „My best memory ever!“ in Nummer zwei, in der er erzählt, wie er im Jahr 1990 alleine „Super Mario World“ durchgespielt hat. - Während sein Bruder mit Magenschmerzen ins Krankenhaus musste. Jedem Gamer und Nerd wird hier ein Urteil sehr leicht fallen.


Aron Nels Steinke: Big Plans
» www.aronnelssteinke.com
48 Seiten, jeweils $ 5,-


Joshua Kemble: NUMB

Joshua Kemble: NUMB

Joshua Kemble hat ebenfalls einen Xeric Award gewonnen und konnte so „NUMB“ mit Hilfe von Alternative Comics veröffentlichen. „NUMB“ berichtet von einem Autor der, seiner Muse beraubt, sich nach Inspiration für sein nächstes Buch sehnt. In der Reflexion über seine beendete Beziehung erkennt er die Möglichkeit einer reichen Quelle an zu erzählenden Geschichten. Kurz vor Fertigstellung des Buches muss er jedoch erfahren, dass seine Ex bereits auf dieselbe Idee kam und ihre Beziehung als Novelle veröffentlichte. Spannend sind die fein schraffierten Zeichnungen, die lediglich durch ein mattes Graublau einen Farbtupfer erhalten. Von Vornherein bereits ungewöhnlich im Querformat angelegt, spielt Kemble häufig mit dem Seitenlayout, indem er die Seite mal quer, mal hochkant gestaltet. Das ist alles in Allem sehr kurzweilig, besonders da das Ende reichlich pathetisch ausfällt: „Who needs a muse, when you have the city, a paper and a pen?“


Joshua Kemble: NUMB
Alternative Comics, 24 Seiten, $ 3.95


Nate Powell: Please Release

Nate Powell: Please Release

Comics aus dem Hardcore-Punk-/ Sozialaktivisten-Umfeld sind nicht wirklich eine Seltenheit. Die Methode von Nate Powell erstaunt da jedoch sehr. Ausnahmsweise wird der Leser nicht mit auf Shows genommen, muss sich Insiderwissen über diese oder jene Band anhören, sondern wird mit den durchaus ausgegorenen und beeindruckend selbstreflektierten Gedanken des Ich-Erzählers konfrontiert. In seinen vier Kurzgeschichten verhandelt er dabei jeweils ein anderes Thema seines Lebens. In der ersten Geschichte berichtet er, dass er in einem Heim für Erwachsene mit entwicklungsbedingten Behinderungen arbeitet. Anhand seiner dortigen Aufgaben, die auch immer wieder von ihm verlangen die Selbstbestimmung der Bewohner einzuschränken, eruiert er seine eigene Auffassung von Selbst’, Freiheit’ und sozialer Macht’. Diese Begabung sein eigenes Leben genau zu hinterfragen, seine Ansichten in Frage zu stellen und sich dann für einen selbst akzeptabel zu verorten, zeigt sich am besten und eingängigsten in der letzten Episode „seriously“, wenn er schließt: „I am a 27-year old punk for what it’s worth, and somewhere in my lungs are every song divined by friends dead scared they’ve becoms has-beens. We sing along, because we have to! And yes I keep my face in what it gave me.“ Auffällig ist die feine Strichführung Powells, die sich immer der jeweiligen Situation ganz wunderbar anzupassen vermag. So zeichnet er Umgebung immer ganz exakt, lässt Straßen, Häuser, Zimmer und Einrichtungsgegenstände genau erkennen und arbeitet mit dunklen Schatten und Schraffierungen.


Nate Powell: Please Release
Top Shelf Productions, 40 Seiten, $ 5,-


Jhonen Vasquez, Jenny Goldberg: Jellyfist

Jhonen Vasquez/ Jenny Goldberg: Jellyfist

Jhonen Vasquez dürfte dem ein oder anderen evtl. als der Comicautor hinter der abgefahrenen Geschichte um „Johnny the Homicidal Maniac“ oder als kreativer Mastermind hinter „Invader Zim“ bekannt sein. Einen ähnlich derben und teilweise auch menschenverachtenden Humor muss der Leser auch bei seiner aktuellen Comicveröffentlichung aushalten. „Jellyfist“ entstand, wie so mancher Comic, als kleines Spaßprojekt: Vasquez wollte seine Kollegin Jenny Goldberg lediglich etwas beschäftigen und lieferte ein knappes Skript. Goldberg entwarf dazu einen One-Pager – und beide waren dermaßen begeistert, dass sie gleich einen ganzen Band vorgelegt haben. Wer Freund „guten“ Geschmacks ist sollte definitiv die Finger davon lassen. Die beiden Künstler werfen jeden Anstand über Board und so wird sich in Fäkalien gesuhlt, im Ejakulat wird die Silhouette der eigenen Mutter erkannt und Riesenpenisse vergewaltigen sich gegenseitig. Warum der eine Riesenpenis ein Toast an die Stirn geklebt hat, erfährt der Leser sogar auch noch: Wie bei einer guten DVD gibt es einen umfangreichen Kommentar der beiden. Dieser ist jeweils in kleinen Lettern an den rechten Rand gesetzt. Er zeichnet die Entstehung nach und analysiert das Ergebnis in recht eigenwilliger, eher wahnwitziger Art und Weise. Die Figuren sind Vasquez-typisch entstellt. So eine Art Mischung aus Glücksbärchen und Zombiemonster. Zombies kommen übrigens auch vor: In einer Geschichte bekämpft ein Familienvater die Horden der Untoten, indem er sein Neugeborenes als Wurfgeschoss einsetzt … Für Fans und Leute mit eigenwilligem Geschmack definitiv ein Muss!


Jhonen Vasquez, Jenny Goldberg: Jellyfist
SLG Publishing, 48 Seiten, $ 8.95
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Damon Hurd (Text) und
Tatjana Gill (Zeichnungen):
Pictures of you

Damon Hurd (Text) und Tatjana Gill (Zeichnungen): Pictures of you

Bekannt geworden ist Damon Hurd mit seiner Comicerzählung „My Uncle Jeff“, die zur „Homecoming“-Trilogie ausgeweitet wurde. Letztes Jahr nun legte er zusammen mit Tatjana Gill mit „A Strange Day“ den Grundstock für eine weitere Trilogie – eine persönliche Hommage an „The Cure“. (Eingefleischten Cure-Fans hat es der Titel wahrscheinlich eh schon verraten!) „Pictures of you“ bildet die Vorgeschichte für die Protagonisten aus „A Strange Day“ und ist somit auch ohne den ersten Teil sehr gut verständlich. Erzählt wird von Miles und Anna, die sich nicht kennen, aber nicht weit voneinander entfernt lebend das gleiche langweilige und zermürbende amerikanische Kleinstadtleben eines Teenagers führen. Während Anna versucht eine glückliche Beziehung zu führen, schafft es Miles als Außenseiter noch nicht einmal bis in den Hafen einer Beziehung. Bleibt beiden nur der Trost durch die Musik. Die Texte der Band sind streckenweise großzügig in den groben und flächigen Zeichnungen von Tatjana Gill einfach hineingeschrieben. Der Comic ist eine Adoleszenzgeschichte in der besten Tradition. So schreiben die Verfasser auch im Vorwort, dass sich der Comic nicht an den Leser, sondern an den ehemaligen Jugendlichen in jedem Leser richtet. Wie auch im modernen Adoleszenzroman bietet die Geschichte dabei keine allgemeingültige Lösung für die jugendliche Entfremdung an, sondern beschreibt lediglich die Situation, in der man sich befindet (bzw. befunden hat). Man kann sich nicht entziehen, aber mit den Worten Robert Smith ist es eine ganze Spur erträglicher: „i can't take it anymore// this it i've become// this is it like i get// when my life's going numb// …“


Damon Hurd (Text) und Tatjana Gill (Zeichnungen): Pictures of you
Alternative Comics, 96 Seiten, $ 11.95
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Eric Reynolds, Gary Groth (Hrsg.): MOME

MOME 9


MOME 7
Eleanor Davis aus Mome 7:
Farblich schafft die Künstlerin eine warme, beinahe heimeliche Atmosphäre, wohingegen inhaltlich das wahre Grauen geboten wird. Man muss sich nur einmal überlegen, was das Monster evtl. in den Säcken transportiert …

All jenen, denen es zu mühselig ist den unüberschaubaren Markt an noch unbekannten, aber aufstrebenden jungen Comicschaffenden von über dem Atlantik zu verfolgen, bietet die Anthologie „MOME“ drei- bis viermal pro Jahr einen spannenden Querschnitt durch das Schaffen einiger dieser Autoren. So veröffentlicht z.B. der seit „Komm zurück, Mutter“ auch in Deutschland bekannte Paul Hornschemeier regelmäßig dort seinen Comic „Life with Mr. Dangerous“. Anders als in „Mutter“ geht es hier nicht um ein Kind, sondern die Handlung ist auf eine junge Frau fokussiert, die nach einer Trennung versucht wieder im Leben Fuß fassen. Die erzählerische Distanz, die „Mutter“ auszeichnet ist auch hier wieder gut zu erkennen. Sie schafft aber eine weniger beklemmende Situation, was der eher alltäglichen Geschichte auch zugute kommt.

Das kleinformatige Magazin besticht durch seine hohe Qualität, in sowohl der Aufmachung als auch durch die Auswahl der KünstlerInnen. Dabei wird kein strenger Fokus auf einen Stil gelegt, sondern jede Form wird, wenn sie denn lohnend und viel versprechend erscheint, aufgenommen. Denn auch das möchte das Magazin leisten: Nachwuchsförderung. „MOME“ bietet den ZeichnerInnen eine regelmäßige Plattform, in der sie ihre Arbeiten veröffentlichen können. Dem Leser kommt dabei die Aufgabe zu, die Entwicklung der jungen ComicproduzentInnen zu beobachten. Eine dieser neuen Künstlerinnen ist Eleanor Davis. Ihre Geschichten erscheinen zumeist in einem pastellenen Aquarellstill und haben einen starken Fabelanklang. Sie verzichtet vollkommen auf Blocktexte und fordert den Leser so auf, genau hinzuschauen und selber nachzudenken.

Ergänzt wird jede Ausgabe durch ein Interview des Herausgebers Gary Groth mit einem/r der vertretenen ZeichnerInnen. Diese mehrseitigen Interviews beleuchten immer den künstlerischen Werdegang, aber auch die eigene Lesebiographie. Zusätzlich wird hier auch reichlich Sketchbuchmaterial gezeigt, was man ansonsten nie zu sehen bekommen würde. Aktuell liegt bereits die neunte Ausgabe vor, in der das erste Mal auf ein solches Interview zu Gunsten einer Bildergalerie des Künstlers Mike Scheer verzichtet wurde.



Eric Reynolds/ Gary Groth (Hrsg.): MOME
Fantagraphics Books, ca. 120 Seiten, jeweils $ 14.95
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