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November 2003
Thomas Vorwerk
für satt.org


The Sandman:
Endless Nights

DC Vertigo 2003

The Sandman: Endless Nights

Autor:
Neil Gaiman

Zeichner:
Glenn Fabry, Milo Manara, Miguelanxo Prado, Frank Quitely, P. Craig Russell, Bill Sienkiewicz, Barron Storey

160 Seiten, geb
$ 24,95
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The Sandman:
Endless Nights



Neil Gaimans lang angekündigte Rückkehr zum Sandman-Comic gehört zu den wenigen Extravaganzen, die ich mir dieses Jahr geleistet habe, denn die Softcover-Version, die wahrscheinlich erst Anfang 2005 erscheint, wird auch ihre 20 Dollar kosten - was soll also der Geiz?

Sieben neue Geschichten zu den sieben "Endless" werden von sieben (nach Gaimans Ermessen) außergewöhnlichen Zeichnern illustriert:

1. P. Craig Russell:
"Death and Venice"
(24 Seiten)



The Sandman: Endless Nights
Death


The Sandman: Endless Nights
Desire


The Sandman: Endless Nights
Dream


The Sandman: Endless Nights
Despair


The Sandman: Endless Nights
Delirium


The Sandman: Endless Nights
Destruction


The Sandman: Endless Nights
Destiny

Russell, der einzige Zeichner, mit dem Gaiman bereits vorher zusammengearbeitet hatte (Sandman 50: "Ramadan"), bekommt eine dekadente Geschichte über den venezianischen Karneval, offensichtlich seinen besonderen Talenten und Vorlieben angeglichen. Doch auch wenn das Seiten-Layout (wie immer bei Russell) überzeugt und die Seiten schön anzuschauen sind, dürfte es sich wohl um eine eher misslungene Death-Geschichte von Gaiman handeln, da diesmal nicht nur die zwei Hauptfiguren nicht zur Identifikation einladen, sondern auch Death selbst wenig von ihrem sonst üblichen Charme zeigt, und das Ganze somit eher an die üblichen "Desire"-Geschichten erinnert.

2. Milo Manara:
"What I've tasted of Desire"
(20 Seiten)

Milo Manara ist natürlich wie niemand anderes geeignet, Desire zu zeichnen, jene androgyne Figur, die sich dadurch auszeichnet, daß man sich auf den ersten Blick in sie verlieben soll. Man hat jedoch bei dieser Geschichte den Eindruck, daß gaiman zu sehr auf seinen Illustrator hingearbeitet hat, während jener seinen Job teilweise eher schlampig ausgeführt hat. Durch misslungene narrative Kleinst-Experimente und eine eher vorhersehbare Handlung entsteht ein eher schaler Geschmack.

3. Miguelanxo Prado:
"The Heart of a Star"
(20 Seiten)

Prado hat in gewisser Weise die Geschichte mit dem größten Potential bekommen. Nicht nur ist es die "Dream"-Geschichte, auch die anderen "Endless" tauchen auf, und es dürfte sich um die chronologisch früheste "Sandman"-Story überhaupt handeln. Delirium ist noch Delight, Destruction ist noch der liebevolle Bruder, Death macht alle nervös, aber auch vor langer, langer Zeit war Morpheus damit bechäftigt, sich in eher oberflächliche weibliche Wesen zu verlieben, und natürlich ist Desire mal wieder an seinem Unglück schuld. Dazu kommt noch eine recht platte Schlußpointe, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es vielleicht auch sein Gutes gehabt hat, als Gaiman damals nach 75 Heften aufhörte, weil die Geschichte erzählt war. Daß eine Figur wie Morpheus sich mal uncharakteristisch benimmt und dadurch retrospektiv wieder interessant wird, scheint offenbar außerhalb von Gaimans Möglichkeiten.

4. Barron Storrey (mit Dave McKean):
"Fifteen Portraits of Despair"
(20 Seiten)

Barron Storrey ist wahrscheinlich der unkonventionellste Künstler aus der kleinen handverlesenen Gruppe, und seine Portraits sind zwar ansatzweise narrativ, aber es verschwimmen klar die Grenzen des kreativen Vorgangs. Was hat Gaiman wann geschrieben, was sollte Storrey darstellen, und wieweit ging McKeans Job beim Design? Das Resultat ist in seiner Ästhetik und Ergründbarkeit sehr heterogen, aber daß man bei dieser Interpretation nicht alles auf Anhieb versteht, ist nur konsequent und passend, denn die Verzweiflung ist in ihrer Natur wohl am individuellsten.

5. Bill Sienkiewicz: "Going Inside"
(19 Seiten)

Auch die Wahl von Bill Sienkiewicz für die Delirium-Geschichte könnte kaum passender sein. Der in letzter Zeit ziemlich untergegangene Künstler hatte mit Werken wie "Elektra: Assassin", "Stray Toasters" oder der Jimi Hendrix-Biographie immer mehr den Eindruck verstärkt, daß die Visionen, die er aufs Papier zaubert, durch eigene psychedelische Erfahrungen inspiriert sind. Hier liefert Sienkiewicz seine beste Arbeit seit einem guten Jahrzehnt, und dadurch, daß die verquere Story durchaus Sinn gibt, sich aber nicht sofort erschließt, wird "Going Inside" zur großen Überraschung des Bandes, zu jener Geschichte, die auch beim dritten Lesen noch neue Impulse freigibt, und die lange bezweifelte Meisterschaft von Sienkiewicz und Gaiman dann doch mal wieder beweist.

6. Glenn Fabry:
"On the Peninsula"
(17 Seiten)

Die Idee für die Destruction-Geschichte stahl Gaiman beim kürzlich verstorbene SF-Autor R.A. Lafferty, und man muß attestieren, daß der kreative Diebstahl hier eine Frische in die Geschichte bringt, die man oft in dem Band vermisst. Glenn Fabry, fast ausschließlich durch seine gemalten Cover für "Hellblazer" und insbesondere "Preacher" bekannt, arbeitet hier mit (selbst kolorierter) Line Art, und das Ergebnis erinnert stark an Geoff Darrow, was aber auch an dem Sujet liegen kann. Die Story um Artefakte aus der Zukunft zeigt, daß gaiman auch auf wenigen Seiten interessante Figuren schöpfen kann, und er wie nebenbei seinen Zeichner glänzen lässt.

7. Frank Quitely:
"Endless Nights"
(8 Seiten)

Ich habe nie verstehen können, was die Leute an Frank Quitely finden. Seine Bilder erinnern an Charles Vess, Francois Schuiten oder wieder Geoff Darrow, bleiben aber hinter jedem dieser Vorbilder stark zurück, und auch die seltsame Mixtur kann mich nicht begeistern. Destiny wandert durch seinen Garten und blättert in seinem Buch, dadurch, daß die Geschichte wie der ganze Band "Endless Nights" heißt, wird sie zu einer Rahmenhandlung, die das Projekt aufwerten soll ("He is holding a book. Inside the book is the universe."), mir aber nur pathetisch erscheint. Ganz nett anzusehen, das Ganze, aber irgendwie verdammt überflüssig. Gaiman hätte sicher eine Geschichte erfinden können, die aus der Figur Destiny etwas mehr herausgekitzelt hätte.

Fazit:

Rein visuell überzeugt das Buch durchgehend, daß ausgerechnet Autor Gaiman zur Schwachstelle wird, liegt meines Erachtens daran, daß er seinen Zeichnern zu sehr entgegenkommt. Künstler wie Manara oder Prado sollten in der Lage sein, jedes Skript zu einem wahren Augenschmaus zu machen, hier werden sie aber nicht wirklich gefordert. "Type-Casting" ist das Stichwort. Die Storys von Sienkiewicz und Fabry (und womöglich Storrey) sind die einzigen, die klar die Erwartungen übersteigen - Hätte ich vorher die Möglichkeit gehabt, "Endless Nights" zu lesen, hätte ich es mir sicher nicht gekauft - Nicht einmal als Softcover für zwölf Dollar.