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Marc Degens
für satt.org

Boys will be boys

Tränen, Tragen, Trauer: Boygroups und ihre Fans

Popmusik ist eine zwanghafte Wiederholungstäterin! Die bemerkenswerte Musikzeitschrift »Testcard« widmete ihre jüngste Ausgabe (4/97) demzufolge ganz den »Retrophänomenen in den neunziger Jahren«: die Formen währen, allein die Motive wechseln. Fast jede Coverversion garantiert heute eine Chartplazierung, nahezu alle früheren Top Ten-Hits bekleidet mittlerweile ein zeitgemäßes Hip Hop- und Technogewand, und selbst vor der sogenannten klassischen‘ Musik wird nicht zurückgeschreckt - bald schon wird der komplette Bach verrapt, verpopt, vergeigt vorliegen. Kein Wunder, daß die Altgedienten und Ausrangierten höchstpersönlich wieder die Konzerthallen stürmen, von Rockfossilien (The Who) über maskierte Kinderschocker (Kiss) bis hin zu Punk-Päpsten (Sex Pistols). Und sogar Totgeglaubte (John Lennon, Freddie Mercury) verleihen neuen Liedern eine Stimme. Allein jene Popsternchen sind auf ein kurzzeitiges Dasein angelegt, deren Verfallsdatum bereits in der Bezeichnung prangt: die Boygroups. Denn aus Jungen können nie Männer werden!

Gruppen wie Bed & Breakfast, Backstreet Boys oder Boyzone entstehen nicht, sondern werden gemacht - von findigen Produzenten und Managern. Für die Plattenfirmen spielen diese Gruppen allerdings nur eine marginale Rolle, da Boygroups primär Singles verkaufen, die im Vergleich zu Longplayern wenig einträglich sind. Doch überhaupt vermarkten Boygroups weniger ihre Musik, als vielmehr ihre Gesichter, ihre Ausstrahlungen und Typen. Daher beginnen die meisten Karrieren bezeichnenderweise auch mit einem Auftritt in einem Bravo-Fotocomic oder in einer RTL-Vorabendserie.

Jan Weyrauch, seines Zeichens Redakteur und Moderator des brandenburgischen Jugendradiosenders FRITZ, legte nun ein Buch zu diesem Gruppen-‘FANomen‘ vor: »Boygroups«, die erweiterte Fassung seiner für den Fachbereich Publizistik eingereichten Magisterarbeit. Doch anders als der Titel vermuten läßt, hat Weyrauch keine Abhandlung über Boygroups geschrieben, da der Leser über das Popprodukt, seine Funktions- und Wirkungsmechanismen, nur wenig erfährt. Der Autor beläßt es zumeist bei der Aufzählung der verschiedenen Gruppen, ihrer Mitglieder und der ersten Hitsingle. Allein das Interview mit dem Bravo-Chefredakteur Norbert Lalla gewährt Einblicke hinter die Posterwirklichkeit, die im folgenden aber nicht weiter verfolgt werden.

Denn dem Autor geht es hauptsächlich um die vorwiegend weiblichen und zwischen 12-17 Jahren alten Fans; seine Sicht ist die eines mitfühlenden Sozialarbeiters, der unter keinen Umständen etwas Böses sagen will. Seitenweise beschreibt er so Fanverhaltensmuster auf Konzerten wie das Schmeißen von Teddybären und Kondomen, das Weinen und das Kreischen oder den »Drang nach vorne« - ohne zu bemerken, daß dieses Gebaren alterstypisch ist und unabhängig davon auftritt, ob nun Take That, Blümchen oder Michael Jackson auf der Bühne stehen.

Das größte Manko entsteht aber aus dem Umstand, daß die Stars des Buches, die Fans, leider auch die Adressaten sind. Immer wieder entschuldigt sich Weyrauch bei ihnen für »zu trockene und staubige« Ausführungen, ihnen gelten die Merk-kästen am Ende der Kapitel, für sie wiederholt sich Weyrauch so oft wie ein Pfarrer im Konfirmandenunterricht.

Der Autor löste seinen eigenen Vorsatz (»Vom Warum zum DARUM«) nicht ein - er umschreibt zu viel und sagt zu wenig! Das Buch ist insoweit bloß eine hübsche Fanreliquie, da sich die Teenie-Fans darin wiederfinden können, weil sie oft genug selbst zu Wort kommen. Aber neue Einsichten gewinnen sie kaum.


(Jan Weyrauch: Boygroups. Das Teenie-FANomen der 90er. Extent, Berlin 1997. 192 S., 26,80 DM.)

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