Sich einfach treiben lassen
Nicht peinlich, sondern
allzumenschlich: Mattis Manzels Romandebüt "Peinlich"
Die Menschheit onaniert, quetscht sich häßliche
Hautpusteln aus, kotzt, kackt und kopuliert. Trotzdem genieren
sich viele Menschen, über diese Dinge zu sprechen, und viele
Autoren, über diese Dinge zu schreiben.
Nicht so der fünfundreißigjährige Berliner Musiker
und Schriftsteller Mattis Manzel. Nach seinem Erzählband
"Zwei Seemänner sitzen in Barcelona und essen einen Albatros"
(1991) erschien in diesem Jahr sein erster Roman "Peinlich".
Sicherlich haben sich ganze Schriftstellergenerationen vor Manzel
mit diesen Thematiken auseinandergesetzt, doch nur wenige Autoren
verstanden es wie er, diese so bizarr und witzig zu gestalten.
Sein Romandebüt weist alle Eigenschaften auf, die ein
moderner Roman aufweisen sollte - dies ist vielleicht ein Manko
des Buches. Die Linearität der Erzählung wird von
Dialogsequenzen, essayistischen Passagen, Tabellen und konkreter
Poesie durchaus geschickt - so wie es Manzel auch beabsichtigte -
durchbrochen, jedoch haben diese Staudämme im
Erzählstrom heutzutage viel an Attraktivität und
Originalität verloren. Die Zeit rast, mit ihr die Mode und
Moderne. Nichtsdestotrotz ist Manzel ein begabter, wortreicher
Arrangeur, der die Stil-, Sprach- und Tempiwechsel zu einem
lesenswerten Roman bündelte.
Die männliche Hauptfigur der Geschichte heißt
wenigstens bis zur Hälfte des Romans Peinlich, und wie das
gleichnamige Gefühl besitzt Peinlich "keine Meinung". Damit
präsentiert er sich als ein unangenehmer, verkommener
Nachfahre von Ulrich, Musils "Mann ohne Eigenschaften". Wie Ulrich
sieht Peinlich die Geschichte vorbeirasen, ohne eingreifen zu
können.
Peinlich, der später in Hermann umgetauft wird, arbeitetete
wie Donald Duck zeitweise als Museumswärter und "wurde
dafür bezahlt, daß er existierte". Zu mehr ist er nicht
berufen, doch wozu sind wir eigentlich berufen? Auf diese Frage
findet, beinah natürlich, Peinlich keine Antwort, allein
deshalb verbindet ihn mit uns eine Menge. Auch die von Peinlich
erwähnten Künstler, etwa Schneetau, Austin, Foztell oder
Zwing, könnten dem Entenhausener Kosmos entsprungen sein und
wirken aus diesem Grund so realistisch. Als Peinlich von seiner
schwangeren, hysterischen Frau auf die Straße gesetzt wird,
kann er nur noch eins: sich bis an das Ende des Romans treiben
lassen.
Manzel versteht alltägliche, oftmals banale Episoden
vergnüglich in Worte zu hüllen, und teilweise
klischierten Figuren, wie etwa dem Prototyp des Musikjournalisten,
der dem Haßsong "Journal" der Hamburger Band "Milch"
entflohen sein könnte, Seele einzuhauchen. Nebenher erfahren
wir durch den Roman viel Wissenswertes über Kondome. Alldies
ist nicht peinlich, sondern sehr unterhaltsam.
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Mattis Manzel: "Peinlich". Roman. Ammann Verlag, Zürich 1995.
280 Seiten., geb., 38,- DM.
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