Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




September 2001
Thomas Vorwerk
für satt.org


Felipe H. Cava, Raúl:
Berlin 1931

Felipe H. Cava, Raúl: Berlin 1931. avant verlag, Berlin 2001

avant-verlag, Berlin 2001
www.avant-verlag.de

Hardcover
76 Seiten, Farbe
DM 39,-


Dieser Text stammt aus Klirr Di Birr, Thomas Vorwerks interessantem Magazin.
Klirr Di Birr kann man abonnieren und wird gegen Selbstkosten veräußert:

Thomas Vorwerk
Sanderstraße 18
12047 Berlin
klirrdibirr@satt.org

Felipe H. Cava, Raúl:
Berlin 1931



Neben dem Amerikaner Jason Lutes scheint das Berlin am Ende der Weimarer Republik auch für Spanier eine besondere Faszination auszuüben. Somit kann der Berliner avant-verlag, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, unbekanntere europäische Kunstcomics in Deutschland zu verlegen, hier Geschichten vorlegen, die trotz internationaler Schöpfer ein wenig Lokalkolorit versprühen.

Zwei kurze und eine lange Geschichte, die subtil miteinander verwoben sind, erzählen vom schleichenden Fremdenhass, der seltsam ausgeprägten Ordnungsliebe deutscher Polizisten, von Verschwörern, Verrätern und Opportunisten.

Felipe H. Cava, Raúl: Berlin 1931, Seite 12Das erstaunlichste an diesem Comic ist, daß man beim Durchblättern den Eindruck bekommt, der Zeichner Raúl hatte sich extra viel Mühe gegeben, durch ständig wechselnde Stilrichtungen (oftmals angelehnt an solche Künstler, die man zur Zeit, in der die Geschichten spielen, als “entartet” bezeichnet hätte), den Eindruck zu erwecken, es müsse schwierig sein, einer Narration zu folgen, bei der es schon schwierig erscheint, wiederauftauchende Figuren zu identifizieren.

Doch beim Lesen des Werkes (zumindest bei der langen Geschichte “Reise nach Swinemünde) hat man kaum Zeit dazu, darüber zu sinnieren, ob man sich gerade mehr an George Grosz oder Ernst Ludwig Kirchner erinnert fühlt, so nimmt einen die Geschichte gefangen. Eine Sexszene etwa, die kaum unerotischer dargestellt werden könnte (und bei deren Dialogen man den Eindruck bekommt, bei der Übersetzung sei ein Wortspiel nur zu 75% zu retten gewesen), funktioniert beim Lesen tadellos, ebenso wie Verfolgungsjagden, bei denen die Einzelpanels unspektakulärer kaum sein könnten. Doch ob die potentiellen Leser durch die Bilder so verzaubert werden, daß sie auch der Geschichte eine Chance geben (so verkaufen sich Comics nämlich normalerweise), ist eine interessante Frage. Ich selbst habe es immer noch nicht geschafft, Martin tom Diecks “100 Ansichten der Speicherstadt” zu lesen, obwohl mir von verschiedener Seite versichert wurde, dieser Bildband habe narrative Elemente.

Das Problem von “Berlin 1931” sind die Bilder, die “normale” Comicleser wahrscheinlich wenig ansprechen werden. Ich meine damit solche Menschen, die schon bei der Erwähnung des Begriffs “Kunstcomic” zu Beginn dieser Rezension allenfalls zähneknirschend weitergelesen haben, weil sie Unterhaltung wünschen, und es mir nie glauben würden, daß “Berlin 1931” nicht nur graphisch interessant und politisch brisant ist, sondern eben auch spannend.

An dieser Stelle fällt mir ein Vergleich ein, der nur den Leuten einleuchten wird, die dem Comic eh eine Chance gegeben hätten. Atom Egoyans Film “Felicia's Journey” ist auch fast so spannend wie ein Hitchcock- (oder zumindest Chabrol-)Thriller, aber bei einer TV-Ausstrahlung würden wahrscheinlich mindestens 90% der zufällig am Anfang des Films hineingezappten Zuschauer nach fünf bis zehn Minuten umschalten.

Und leider sehe ich ein ähnliches Problem bei Comic-Fans, die in diesem Buch herumblättern, einiges vielleicht interessant finden, aber (gerechtfertigterweise, wenn man daran denkt, wieviel Schwund überall erscheint) dann doch nicht das Vertrauen in unbekannte Zeichner, Autoren und Verleger haben, das Buch zu erwerben, um Zuhause eine meines Erachtens einzigartige Erfahrung zu machen.